"WO WASSER IST - MYTHOS MOOR"
Projektentwicklung seit 2022
Fragen zu Moor und Kunst:
Was bringt eine Ausstellung zum Moor hinsichtlich der Fragen zu Wiedervernässung und Klimawandel?
Information dazu gibt es vielfältig. Kann Kunst einen relevanten Beitrag leisten?
Ist Kunst ein Mittel der Kommunikation, das eine gesellschaftliche Veränderung konstruktiv begleiten kann?
Das Moor und die Kunst
Projektzentwicklung „Wo Wasser ist - Mythos Moor“
Im Herbst 2022, als Martina Grützmacher und ich beschlossen hatten, gemeinsam eine Ausstellung zum Thema Moor zu gestalten, war die öffentliche Diskussion um Wiedervernässung und Renaturierung das zentrale Motiv. Im Gegensatz zu Martina hatte ich keine große Kenntnis, was ein Moor eigentlich ausmacht. Da ich mit dem Projekt IM AUENLAUF bereits einen langen Zeitraum im Erlenbruch an der Belliger Au und im Verlandungsgebiet des Rabenholzer Sees unterwegs war und mein Atelier in den umliegenden, wassernahen Naturraum erweitert hatte, haben wir das Thema entsprechend ausgedehnt und mit dem poetisch ungefähren Titel WO WASSER IST versehen.
Das politische Streitthema nahm mit den Bauernprotesten noch einmal Fahrt auf, hatte aber keine direkten Auswirkungen auf unsere künstlerische Arbeit. In der Planung habe ich alles an die vorgesehenen Veranstaltungen delegiert und wollte die Kunst als Mittler zwischen den entgegengesetzten Positionen einsetzen, einen Gesprächsraum vor dem neutralen Hintergrund künstlerischer Naturbeobachtung schaffen.
Da ich die Ausstellungsräume auch immer in meine Künstlerlaboratorien einbeziehe, habe ich natürlich schon seit Ende der letzten Sommerausstellung 2023 auch in diesen Räumen auf das Moorthema hingearbeitet. Mit der Beschäftigung kamen die Recherche und viele Moorbesuche in der unmittelbaren Umgebung. Langsam stellte sich bei mir ein tieferes Verständnis für das Moor als Landschaftsraum ein. Allerdings war ich auch ein wenig enttäuscht, hatte die Literatur mir doch ein weit größeres Feld eröffnet, eine viel weitere Landschaft geschaffen, als ich hier je angetroffen habe. Die kleinen moorigen Flächen sind wirklich nur Reste einer einstmals auch kulturprägenden Landschaftsformation. Erst mit dem WILDEN MOOR bei Schwabstedt ist das untergründige Moorwesen auch in mir lebendig geworden. Auf das WILDE MOOR bin ich durch den Hinweis von Martina auf die Novelle RENATE von Theodor Storm aufmerksam geworden. Der beschilderte Lehrpfad hat noch einmal alles angelesene Wissen in Bilder von der Natur gesetzt. Zu meinen Wasserproben habe ich eine Handvoll Moorerde für die Ausstellung mitgenommen, auch wenn das sicher gegen jede Vorschrift verstößt. Das Moor haben wir passend zu RENATE an Himmelfahrt besucht. Es war ein wunderbar milder, sommerlicher Frühlingstag. Die Lerche hat über Wollgraswiesen gesungen, der Kiebitz hat sich über die Störung beschwert und über die wässrigen Himmelspiegelflächen zwischen Torfmoosen und Gagelsträuchern seinen Gaukelflug vorgeführt. An Kunst habe ich gar nicht mehr gedacht. Ein durchdringend entspanntes, stillglückliches Lebensgefühl hat die Führung übernommen. Die Krönung darauf war das kleine Wunder der Begegnung mit der Kreuzotter. Alles fügte sich in die Hochstimmung. Erst am Abend beim Einschlafen ist mir das Unheimliche der Giftschlange in die Glieder gekrochen.
Damit war ich dann wieder bei der Verarbeitung. Besonders die Storm Novelle begann ihren Einfluss auf das Aussagefeld unseres Raumkunstschaffens auszudehnen. Die Bauernproteste liegen schon wieder weit zurück, die Wiedervernässung und Moorwissenschaften, Klimaprozesse, alles ist in den Hintergrund gerückt. Es bleiben die Kriege und vor allem, das Unheimliche der Freund-Feind-Propaganda. Unser diesjähriger Denkraum Moor ist mir endgültig als das ins Bewusstsein gerückt, als was die Kunst ihn schon immer behandelt hat, als Hort der Metaphern, als Zwischenwelt, als unsicherer Grund. Was Storm in RENATE verhandelt, lässt sich spielend übertragen. In Fortschrittsglauben und Skepsis, in Vereinfachung, Angstszenarien und Gewaltphantasien steckt immer das gleiche menschliche Potential zu Irrationalität. Verlockung und Abwehr, Sehnsucht und Kontrolle, das Moor kann alles verschlingen, hervorbringen und bewahren.
Da nun also die wissenschaftliche, informative Seite der Moorbetrachtung vollkommen vom Kulturknotenpunkt übernommen wurde, sind wir frei, unsere Bestimmung für das Uneindeutige auszuspielen und das Moor als reines Kulturgepräge wahrzunehmen. Ich habe ohnehin schon viele Bezüge zu Gedichten gedanklich in meine Arbeit integriert. (Annette von Droste-Hülshoff, Klaus Groth) Da steht aber vor allem die Naturromantik im Vordergrund. Aber auch die Moorsoldaten als Widerstandslied habe ich bedacht. Vor allem wollte ich Moorgeschichten sammeln, die sich die Leute so erzählen. Dabei geht es dann meistens um Moorleichen. Und nun kommt RENATE dazu mit dem schönen Witz, dass die meisten Norddeutschen, die man nach Renate befragt, den Torfrockblödelsong über „Renate Granate“ kennen, aber nicht die Novelle von Storm. Wäre noch herauszufinden, ob die Rockband etwa doch von genau der RENATE inspiriert ist und sich auf die Vorfahrin bezieht, nach der die Bauerntochter in der Erzählung benannt wurde.
RENATE. Theodor Storm hat das Moor gewählt für die Zwischenwelt, in welcher Irrglaube und Aberwitz blühen können. Zwischenwelten sind vielleicht das wichtigste Terrain der Kunst. Und sie sind vieldeutig, unverfügbar.
Das Moor ist ein genialer Bezugsrahmen für das Verhandeln von Kunst und Bedeutung. Das Moor ist über Jahrtausende eine unzugängliche Landschaft, die viele Ungewissheiten birgt. Wege und Abwege konnten zu Sinnbildern für gesellschaftlichen Schutz und Kontrolle oder Gefahr und Ausgrenzung werden. Die Sümpfe und Moorkuhlen, in denen man unwiederbringlich versinken konnte, dienten als Hort für Göttergaben oder heimliches Vermögen oder, in neuerer Zeit, auch als Müllkippen. Neben todbringenden Bestrafungen gab es auch Moorbestattungen im Guten. Das Unheimliche des Moores machte es zur Zwischenwelt. Hier schien der Kontakt zu Göttern und Geistern möglich. Das Moor war ein heiliger Ort oder eine Tabuzone. Das karge Auskommen der wenigen Pflanzen, die sich im Hochmoor ansiedeln können, lässt sich gut vergleichen mit der Kunst, die sich selbst ernährt wie die Torfmoose und eine immer neue, lebendige Oberfläche bildet über tiefen Schichten von Vergangenem.
Der ungewisse Grund, das Offene, nicht zu bestimmende, nicht festlegende aber dennoch Bewahrende, entspricht der lebendigen Aussage vom Kunstschaffen. Phantasie und Emotionen entfalten im Ungewissen ihre schöpferische Kraft. Schönheit ist eine mögliche, wenn auch nicht sicher bestimmbare Zuflucht, die einen festen Grund, einen Standpunkt ohne andere Bekenntnisse ermöglicht. Das ist die Basis, auf der wir uns ohne Feindschaft begegnen können.
„Nur das Moor liegt zwischen hier und dorten, ein Vogel mag sich bald hinüberschwingen; … wohl dreißig Jahre sind seit jenem Tag zur Ewigkeit gegangen – ohne sie zu mehren; denn nur der Mensch ist in der Zeitlichkeit.“ Lässt Storm seinen Protagonisten Josia in der Erzählung RENATE sagen. Kunst dehnt sich in diese Ewigkeit, die sich im Zeitlichen nicht verorten lässt.
Vögel sollen das nächste Thema sein.
Am Anfang erscheint alles als Zufall
Vom Ende her betrachtet steht alles in einem Zusammenhang. Im Moment der Sinnentstehung = Beimessung, Erkenntnisgebung erscheint Magie = Vorsehung, Bestimmung
Aus der gesamten Mischung haben wir uns für die Eröffnung auf das Moorleichenfrühstück konzentriert. Es meint nicht, dass wir Moorleichen zum Frühstück servieren, sondern, dass es zur Eröffnung eine Performance zu herumgeisternden Moorleichen geben soll, die sich beim gedachten Frühstück mit Gedichtfetzen und Zitatsplittern unterhalten. Besucher und Besucherinnen sind eingeladen, sich an der Unterhaltung zu beteiligen.
Anka Landtau
Wir danken der Kulturstiftung des Kreises Schleswig Flensburg und dem Kulturknotenpunkt Nord-Ost für die Förderung des Projektes